Projektbeschreibung

Zufluchtsort der Erinnerungen

2017 – Ladenlokal in Mehrfamilienhaus

Künstler

Jakub Kučera (ehem. Gruppe Ohrenfreund)

Standort:

Münster, Gartenstraße 57

Wanderer kommst du in die Gartenstraße …

Hier befindet sich der Ort, an dem Erinnerungen ein Zuhause gefunden haben. Das eigens zur Skulpturen-Ausstellung von Jakub Kučera angemietete Lädchen und anschließend mit viel Liebe gefüllte Sammelsurium stellt unsere Sehgewohnheiten in Frage.

Das Ladenlokal im Nord-Osten von Münster ist definitiv aus der Zeit gefallen. Es trägt weder einen Namen, noch präsentiert es zu hastigen Zeitgenossen nachvollziehbare Öffnungszeiten. Es taucht stattdessen unvermittelt auf und bildet einen Kontrapunkt zur schnelllebigen, lauten Münsteraner Innenstadt.
Die westfälische Antwort auf das pottersche Gleis neundreiviertel oder der Beginn einer Reise in eine fremde Welt.

Die Objekte scheinen unbedacht angeordnet und lieblos präsentiert. Dem ist aber nicht so! Die Ordnung der Dinge erschließt sich nur Menschen, die neugierig geblieben sind und „Sachen sammeln“¹ zu ihren liebsten Eigenschaften zählen.

Je länger sie vor dem verschlossenen Eingang verharren, desto härter trifft sie die Einsicht: Diese Erinnerungen sind nicht übertragbar. Egal wie sehr wir es ersehnen, die Objekte in der Gartenstraße 57 entziehen sich jeglichem Zugriff. Wir werden sie nicht zu den zukünftigen Protagonisten unserer eigenen Erinnerung machen können.

Jakub Kučera gründete 1972 das Ensemble Ohrenfreund, deren einzig verbliebenes Mitglied er bis zu seiner Auflösung 1974² blieb. Angetreten, um im Zeitalter des digitalen Umbruchs eine tast- und hörbare Wirklichkeit mittels Verfremdung des Alltäglichen zu provozieren, löste sich die Gruppe recht schnell auf. Sie fand schlicht keine Beachtung.

Jakub Kučera, hier auf der 50 Kronen Briefmarke, genießt in seiner Heimat Kultstatus.

Das Vertraute im Fremden. Eine Ansammlung beliebiger Dinge?

Vita

Jakub Kučera ist das Resultat einer leidenschaftlichen Passion zwischen dem tschechischen Großindustriellen Stepan-Matyas Kučera und einer litauischen Diakonissin. Geboren in den Kriegswirren des Jahres 1944 entfloh er kurz nach seiner Zwangstaufe der Enge der osteuropäischen Provinz und ließ sich in Fraukirch – einem kleinen Wallfahrtsort in der Pellenz – nieder. Dort erstellte er mit manischer Hingabe den dreiflügeligen Schnitzaltar, der kurz nach seiner Fertigstellung im Mai 1962 für internationales Aufsehen sorgte, allerdings am Sonntag (!) der darauf folgenden Woche durch einen Blitzeinschlag zerstört wurde.

Durch dieses spirituelle Schlüsselereignis geprägt, widmete er sich fortan profaneren Räumen und begann eine internationale Karriere als Schaufenster-Dekorateur.

Viele seiner Werke aus den 70 und 80er Jahren sind auch heute noch öffentlich zu sehen.
Beispielsweise das Einkaufsparadies Schwalbenhof in der schwäbischen Gemeinde Strullendorf (inklusive Lotto-Totto-Annahmestelle) oder das »Chez Achim« in den Pariser Galeries Lafayettes.

  1. „Die ganze Welt ist voll von Sachen, und es ist wirklich nötig, dass jemand sie findet. Und das gerade, das tun die Sachensammler.“ P. Langstrumpf | 1973
  2. „Für mich brach eine Welt zusammen.“ aus: Wie ich es sah. Ohrenfreunde gehen auseinander. Jakub Kučera 1985 | Eigenverlag